Violettes Licht statt schwarzer Erde — revolutioniert dieser Unternehmer den Ackerbau?

VON FABIAN FRANKE

Er krümmt den Rücken, zieht ein schmerzverzerrtes Gesicht und stochert eine imaginäre Hacke in den Boden. „So hat meine Oma im Garten geackert. Das ist das Einzige, was ich von der ursprünglichen Landwirtschaft noch wusste“, sagt Timur Muradov.

 

Mittagssonne sengt durch die milchigen Plastikwände ins Gewächshaus, es riecht nach Erde und kondensierter Hitze. Der 29-Jährige, ordentlich gescheitelte schwarze Haare, Dreitagebart, kniet sich vor eine lange Reihe junger Tomatenpflanzen und betastet den Plastikschlauch, der in ihrem Wurzelbereich verläuft. „Hier kommt die Mischung aus Wasser und Dünger raus, alles vollautomatisch – wenn nichts verstopft ist“, sagt Muradov. In seiner Stimme liegt der überzeugte Ton eines Verkäufers, aber auch Erschöpfung, denn das Licht ist gleißend und die Luft stickig und das Jeanshemd zu warm, mit dem er sich immer wieder Luft an den Körper fächert, aber nur, wenn niemand hinguckt.

 

Verkauft hat er diese Gewächshäuser schon vor einem Jahr an einen jungen Landwirt, den er heute im Dorf Cărpineni besucht, eineinhalb Stunden südwestlich von Chișinău. Sie stehen zwischen Plastikplanen, begutachten Tomaten und Chinakohl, albern herum, legen aber sofort seriöse Mienen auf, wenn es um Investitionskredite, Erntezeiten und Bewässerung geht. Für den Landwirt liegen die Vorteile der Gewächshäuser auf der Hand: „mehr Ertrag auf weniger Fläche“, „mehr Zeit für andere Arbeiten“ und „Unabhängigkeit vom Wetter“. Neben ihm steht Muradov in seinem städtischen Jeansoutfit, in einer Hand sein Smartphone, und nickt immerfort, als wolle er sagen „Sehen Sie?!“.

 

Dass Muradov vor zwei Jahren bei dem jungen Unternehmen EcoFarm einstieg, war Zufall. Einer von vielen Zufällen, die wie unregelmäßige Kerben seinen Lebenslauf zeichnen und jedes Mal eine neue Episode einleiten. Wenn er erzählt, beginnt jede dieser Episoden mit einem „dann“. Nach der Schule war er Student der Wirtschaft, dann Handyladenbesitzer, dann Leiter der Verkaufsabteilung von Moldcell, dem größten Mobilfunkanbieter im Land, dann gründete er eine Marketingagentur, drehte Imagefilme, dann handelte er mit Aktien, lebte auf großem Fuß, hatte ein Apartment, ein Auto, dann verlor er den Boden unter den großen Füßen, als er gerade die Nacht durchfeierte und eine Email seines Brokers bekam: Bankrott. Muradov war am Boden, belastet mit Schulden und vielen „verrückten Gefühlen“ in der „schlimmsten Zeit“ seines Lebens. Er verkaufte sein Auto und zog zurück zu seinem Vater, mit 25.

 

 

Nach einiger Zeit bin ich gelangweilt

und will was Neues ausprobieren."

 

 

Dann, ein paar Monate später, sprach ihn ein Freund seines Vaters an, „Mr. Chiril“, wie Muradov ihn nennt, den er auch schon von Moldcell kannte, der eigentlich Chiril Gaburici heißt und später Premierminister wurde. Gaburici hatte EcoFarm gegründet, ein Unternehmen, das Gewächshäuser und automatisierte Bewässerungssysteme an Landwirte verkaufte. Er suchte nach jemandem, der gut verkaufen und Werbung machen konnte. Muradov bekam den Job, obwohl er von Landwirtschaft keine Ahnung hatte, las sich in das Thema ein, peppte den Internetauftritt auf und nannte sich fortan „Specialist Marketing and Sales“.

 

Muradov sagt über sich: „Ich habe ein Problem in meinem Leben: Nach einer Zeit bin ich gelangweilt und will etwas Neues ausprobieren.“

 

Heute ist Timur Muradovs Blick geschult. Routiniert geht er durch die Gewächshäuser, die er einem jungen Landwirt verkauft hat. Bis er in der Landwirtschaft ankam, war es für Muradov ein langer Weg.
Heute ist Timur Muradovs Blick geschult. Routiniert geht er durch die Gewächshäuser, die er einem jungen Landwirt verkauft hat. Bis er in der Landwirtschaft ankam, war es für Muradov ein langer Weg.

 

Auf dem trockenen Trampelpfad zum Auto, weg von den gleißenden Gewächshausschlangen in Cărpineni, weg von der gebückten Haltung der Erntehelfer, gesteht er: „Das wäre nichts für mich. Die harte Arbeit, in dieser Hitze der Gewächshäuser in der Erde rumzugraben.“ Und nach ein paar Schritten auf dem rissigen Boden fügt er hinzu: „Ich glaube, das können wir den Bauern ersparen.“ Es klingt, als würde er eine Vision verkünden. An ihr experimentiert er achtzig Kilometer weiter nordöstlich, in Chișinău.

 

Auf der Fahrt dorthin schlängelt sich der blassgraue löchrige Asphalt durch das, was die Landwirtschaft der Republik Moldau prägt: Erde schwarz wie erstarrte Lava, kohlenstoffhaltig und nährstoffreich, darauf sattgrüne Triebe von Weizen, Wein und Sonnenblumen. Ununterbrochen zieht sie am Autofenster vorbei, wie auf Plakatrolle geklebt, die Grundlage des einstigen Wohlstandes. Zu Zeiten der Sowjetunion lieferte Moldau Lebensmittel an ganz Osteuropa.

 

Heute kommt bei vielen Familien das in den Topf, was sie in kleinen Gärten anbauen. Auch wenn ihr Anteil ständig sinkt, arbeiten noch immer etwa dreißig Prozent der Bevölkerung in der Landwirtschaft. Doch Großbetrieben fällt es zunehmend schwer, mit der Produktivität von Rumänien oder der Türkei mitzuhalten. Es fehlt Geld für Maschinen, Plantagen und Infrastruktur. Zudem trocknet der Klimawandel das Land aus. In manchen Monaten regnet es kaum, so wie in den Dürrejahren 2007 und 2012. In den Dörfern nördlich von Chișinău erzählt man, dass die Bauern ihre Pferde nicht mehr aus dem Stall ließen, weil sie sich in den breiten Rissen des ausgedörrten Bodens die Beine gebrochen hätten. Viele Bauern waren ohne Ernte, viele Familien ohne Essen.

 

„Mit dieser neuen Technologie kann man die Ernte vom Wetter unabhängig machen, sodass man das ganze Jahr ernten kann!“, sagt Timur Muradov. Hier, im Südwesten Chișinăus, wo Straßen breit wie Fußballfelder die grauen Plattenbauten in ein Schachbrettmuster teilen, steht er im Keller eines elfgeschossigen Wohnquaders vor einem Regal aus Aluminium, auf dessen dünnen Trägern weiße Plastikstreben liegen. Daraus recken sich kleine Blätter von Rucola, Gurken und Basilikum zu LED-Leisten. Der Raum ist in gespenstisches violettes Licht getaucht, das rauschende Gluckern einer Wasserpumpe hallt von dem gefliesten Boden und den kahlen weißen Wänden wider. Muradov verwischt unter dem Licht zur schwarzen Farblosigkeit. In diesem Raum begutachtet er seine Vision: Hydrokulturen.

 

„Ich wusste nichts darüber, ich mochte einfach, wie es aussieht – alles so technologisch, so clean“, sagt Muradov. Mit beiden Händen tastet er die Schläuche ab, die von einem Wasserspeicher über eine Pumpe in die Plastikstreben führen. „Die nennen wir Spaghetti“, sagt er und hält den Finger vor den zarten Wasserstrahl, der aus dem dünnen Schlauch kommt. „Und hier, in dieser kleinen Box, wird alles kontrolliert.“ Er tätschelt einen Metallkasten in Größe einer Festplatte, in den Kabel und Spaghetti führen und auf dem grüne Lämpchen blinken. „Momentan testen wir das System erst – auf die Zusammensetzung der Nährstoffe im Wasserkreislauf, die LED-Lampen und die Belüftung. Wenn es im Kleinen funktioniert, bauen wir eine größere Anlage.“ Die Pflanzen wurzeln nicht in Erde, sondern in einem künstlichen Substrat aus Mineralwolle, das von der Nährlösung getränkt wird. „Ich kann das alles über mein Smartphone steuern!“, sagt Muradov begeistert und wischt dabei über Tabellen und Diagramme, die auf seinem Handybildschirm leuchten.

 

Gemüse aus dem Labor - vielleicht ein Zukunftsmodell für das Land. Fotos: Fabian Franke
Gemüse aus dem Labor - vielleicht ein Zukunftsmodell für das Land. Fotos: Fabian Franke

 

Auf der GreenTech in Amsterdam, einer der größten Agrarmessen der Welt, schnappte er 2016 die Idee mit den Hydrokulturen auf, die seitdem in seinem Kopf keimte. Er besorgte sich Fachliteratur, verglich über Wochen LED-Leisten aus China und Moldau, bestellte einen Spezialisten aus der Türkei. „Mr. Chiril“ glaubte an die Idee und investierte. Nachdem er in die Politik ging, fand sich ein anderer Investor, mit dem Muradov das Unternehmen EcoFarm seit Anfang des Jahres führt.

 

 

Das ist die Zukunft

der Landwirtschaft."

 

 

Das Geschäft mit den Gewächshäusern wurde mehr und mehr zur Nebensache, die meiste Zeit tüfteln Muradov und sein Partner nun unter violettem Licht und rechnen Beleuchtungszeiten und Nährstoffmengen aus. Manche nennen das verrückt. In der Republik Moldau, dem Land der schwarzen Erde, Geld und Zeit in die Entwicklung einer Pflanztechnologie zu stecken, die ohne Erde arbeitet.

 

Manche Landwirte nennen es „unökologisch“ und „künstlich“, denn für sie haben Nahrungsmittel in natürlichem Boden zu wachsen und nicht im Labor. Oder „unbezahlbar“, weil schon eine Wasserpumpe eine zu große Investition für sie ist.

 

Muradov nennt es „wirtschaftlich“ und „nachhaltig“, weil sie nichts verschwende, kein Wasser, keine Nährstoffe. Weil es keine äußeren Einflüsse mehr gibt, die die Ernte zerstören. Weil Landwirte mit zehn bis fünfzehn Mal weniger Wasser auskämen, bei gleichzeitig fünfzehn Wachstumszyklen pro Jahr. Für ihn ist das schlicht „die Zukunft der Landwirtschaft“.

 

Wenn Muradov eine Pause vom violetten Licht braucht, das auf die Augen geht, steht er von seinem kahlen Schreibtisch im Keller auf, geht vor die schwere Metalltür und raucht eine Zigarette. Dabei blickt er auf die Wohntürme über sich und sagt: „Ich habe hier so viel Energie und Zeit reingesteckt. Für mich kommt es jetzt nicht in Frage, aufzuhören.“ In diesem kurzen Moment liegt ein Zweifeln in seiner Stimme, Ungewissheit, ob sich die Arbeit auch finanziell lohnen wird. Irgendwann wird auch „Mr. Chiril“ Ergebnisse seiner Investitionen sehen wollen. Vielleicht könne er die Anlagen als Komplettsysteme verkaufen, vielleicht nach Rumänien, wenn sie für Moldau zu teuer sind. Oder vielleicht sind auch Schulen daran interessiert, hofft Muradov.

 

„Aber ich werde es hier versuchen.“ Ihm ist das wichtig, mit seinen Ideen im Heimatland etwas zu bewegen – auch wenn es für ihn wieder ein finanzielles Risiko bedeutet. „Denn wenn ich auch gehe, wie alle anderen, bleiben irgendwann nur noch Menschen wie meine Oma hier.“

TIMUR MURADOV, 

WAS WÜNSCHEN SIE SICH FÜR DIE ZUKUNFT?

 

HINTER DER RECHERCHE

 

Bei der Recherche stieß ich auf einen Sonderbericht des World Food Program: Ernteausfälle, hungernde Familien, Hilfspakete. Ich war überrascht, denn Dürre gehörte für mich an Orte, die weiter südlich auf der Erdkugel liegen. In Moldau fuhr ich aufs Land, sprach mit Bäuerinnen und Bauern, NGOs und Unternehmen. Das Klagen über das Wetter war allgegenwärtig – auch dieses Frühjahr war viel zu trocken für die Landwirtschaft. Ich suchte nach jemandem, der eine junge, innovative Perspektive auf das Problem hat – und fand Timur Muradov.

 

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WIR DANKEN:

Edita Badasyan, Ulrich Bausch,

Natalia Ciubarov, Mila Corlateanu,

Constanta Dohotaru, Dmitri Elnic,

Gabriel Encev, Andrew Ghilan, Ana Gurdish, Stefan Junger, Ilkay Karakurt,

Philipp Maußhardt, Carline Mohr,

Ghalina Niculita, Alena Petelina,

Bernhard Riedmann, Sorina Stefarta,

Éric Vazzoler, Roxanna Werter, Tilman Wörtz

und den Mitgliedern der Advanced

School of Journalism Chișinău.


 

Illustration: Jana Kreisl