VON NORA BELGHAUS
Das Gesicht hinter dem Modelabel Mara ist faltenlos. Elena Scutarus zierliche Figur ist in eine helle Mum-Jeans und ein ärmelloses graues Stricktop gehüllt. Die Füße stecken in eleganten hellbraunen Schnürschuhen. Ihr feuerrot gefärbtes Haar versprüht einen Esprit von jugendlichem Tatendrang. In diesem Outfit steht die Gründerin der Marke Mara in ihrem Laden als wäre sie Teil des Inventars. Beste Adresse in Downtown Chișinău, Hauptstadt der Republik Moldau. Ein großer weitläufiger, lichter Raum in einem ehemaligen Fabrikgebäude. Rostrote Backsteinwände, Industrielampen und an Stoffkabeln hängende Retro-Glühbirnen.
Auch der Webauftritt ihres Labels scheint perfekt: „Stell dir vor, du wirst gefragt, wo du deine coole Strickklamotte her hast. Du sagst: Republik Moldau. Und die Leute so: Waaaaas?! Und dann erzählst du ihnen stolz, dass Moldau ein kleines osteuropäisches Entwicklungsland ist, in dem fast vier Millionen Menschen friedlich leben“. Makelloses Marketing - jung, hip, selbstbewusst. Damit nicht genug, denn Klamotten von Mara sind nachhaltig produziert - aus „upgecycleter“ Wolle. Das heißt aus Resten großer Marken wie Dolce & Gabbana.
Das Design folgt dem Slow-Fashion-Prinzip. Das heißt, es ist zeitlos. Nicht vergleichbar mit dem letzten Schrei von heute, der morgen out ist. Und wessen Hände sind es, die da stricken? Natürlich die armer Landfrauen, die sonst kaum Einkommensmöglichkeiten haben. Gäbe es Mara nicht, würden sie wahrscheinlich ins Ausland ziehen. Wie so viele in der Republik Moldau. Mara – ein Modelabel mit sozial und ökologisch nachhaltiger Ausrichtung aus und in einem Land, das unter dem Ruf leidet, ein elendes und entlegenes Überbleibsel der Sowjetunion zu sein.
Auf den zweiten Blick erst sieht man, wie müde Elena Scutaru ist. Hektisch wirft die Dreißigjährige Schlüssel und Handy in ihre Handtasche und verabschiedet sich flüchtig von ihren zwei Kolleginnen, mit denen sie sich den Laden teilt. Im Café gegenüber zeigt der Blick aus nächster Nähe das Maß der Erschöpfung noch deutlicher: die grünen Augen leicht gerötet, ihr Ausdruck ernst, als müsste sie ihre Lippen zu jedem Lächeln überreden. Der aschblonde Haaransatz verdrängt das Feuerrot. Selbst zum Nachfärben scheint es ihr an Energie zu mangeln. Läuft das Unternehmen zu gut oder zu schlecht? Was läuft da schief? Das Image ihres Labels, es ist so glatt und schön. Zu schön, um wahr zu sein?
Das Image ihres Labels, so glatt und schön. Zu schön, um wahr zu sein?
Mara ist Elena Scutarus Baby. Sie allein hat die Marke aufgebaut, abgesehen von ein paar Freundschaftsdiensten und der finanziellen Unterstützung ihres Mannes. Das Label ist ihr Leben. Seit fünf Jahren. Eigentlich ist sie stolz darauf. Eigentlich. Elena hat sich für heute etwas vorgenommen, das ihr nicht leicht fällt. Sie muss ihren Kolleginnen gestehen, dass sich der Laden nicht mehr trägt. „Es ist ein Monkey-Job. Ich muss mich um Bestellungen, Versand und Verkauf kümmern, um Buchhaltung und Produktion. Aber es kommt einfach nichts rein“, sagt sie. „Mara kann so nicht überleben“.
Die einzige und letzte Chance, sich von den hohen Festkosten des Ladens zu befreien, sieht sie darin, die Klamotten zukünftig ausschließlich online zu verkaufen. Wenn überhaupt. Die Entscheidung hat sie erst vor ein paar Tagen gefällt. Gemeinsam mit ihrem Mann, der sagt „Ein Business ist kein Business, wenn es sich nicht trägt.“
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Es ist das Jahr 2012. Elena besucht ihre Großmutter in Scoreni. Ein Dorf umgeben von Wald, eine gute Stunde von Chișinău entfernt. Die 77 Jahre alte Frau lebt allein in einem grün gestrichenen Haus, dessen Fassaden mit traditionellen Bordüren bemalt sind. Jedes fünfte Haus im Dorf steht leer.
Elena fragt ihre Großmutter nach Freundinnen aus Kindertagen. Aber sie weiß keine Antwort, alle seien ausgewandert. Elena ist schockiert. Auch sie hat ein Jahr im Ausland gelebt. Aber endgültig weg, das wollte sie nie. Sie findet, dass man auch in ihrer Heimat etwas aufbauen kann. Wenn nicht sogar muss.
Elena überlegt, was Frauen eigenständig tun können, ohne große Voraussetzungen mitzubringen. Stricken! Das ist es! Die Idee ist geboren, Mara kommt zur Welt, Elena legt los. Sie gewinnt ein Förderstipendium für Social Enterprises und schafft Strickmaschinen an. Schon die ersten beiden Jahre haben es in sich, aber sie hat den nötigen Drive. Während sie von ersten Gehversuchen erzählt, beginnen ihre müden Augen zu leuchten. Ihre Stimme wird fester, lauter, selbstbewusster.
Sie findet vier Frauen, die für Mara arbeiten wollen. Elena bittet in der Dorfschule um einen Raum. Doch dort begegnet man ihr erst mit Misstrauen, dann mit Argwohn. Eine Unternehmerin aus der Hauptstadt möchte Frauen im Ort für sich stricken lassen? Und das nennt sie ein „soziales“ Unternehmen? „Im Internet hat sogar jemand behauptet, ich würde Sklaverei betreiben“ seufzt sie. Schließlich überzeugt sie den Schulleiter. Aber erst als sie verspricht, an seiner Schule Englisch zu unterrichten.
„Im Internet hat sogar jemand behauptet, ich würde
Sklaverei betreiben.“
Elena engagiert einen Designer, doch der springt schon bald ab. Sie heuert einen zweiten an, einen dritten. Keiner will bleiben. Zu aufwändig die Anfahrt nach Scoreni, zu mühsam die Arbeit mit Frauen, die den Umgang mit Strickmaschinen erst lernen. „Das war Maras erste kleine Krise“, sagt Elena leise. Kurz darauf lernt sie eine Designerin aus Polen kennen. Die findet Mara toll. Mit ihr fühlt sich alles wieder nach Aufbruch an. Die Frauen wachsen zusammen. Elena gewöhnt sich daran „wir“ zu sagen , wenn sie von Mara spricht. Es fühle sich besser an, ein Team im Rücken zu haben, als sich immer die Frage zu stellen, ob sie es schafft, alles allein auf die Beine zu stellen. Wenn sie von den Frauen spricht, sagt sie „die Mädchen“. Dann werden ihre Gesichtszüge für einen Moment weicher.
Elena fährt jeden Tag in das Dorf. Zwei Jahre lang. Mit dem Kleinbus, in dem nicht selten 32 Fahrgäste auf 19 Sitzplätze kommen. „Mit Mara begann die bisher härteste Zeit meines Lebens“, sagt sie. „Aber damals hatte ich immerhin noch viel Energie“. Da ist sie wieder, die Erschöpfung und der Ernst.
Dann verändert sich etwas in den Leben der Frauen von Scoreni. Eine von ihnen zieht es doch ins Ausland, obwohl sie bei Elena das Doppelte des moldauischen Durchschnittslohns verdient. Zwei andere verkünden, mit dem zweiten Kind schwanger zu sein.
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Es ist kein guter Moment für eine Hiobsbotschaft. Elena hatte sich wenige Monate zuvor von drei Bekannten dazu überreden lassen, mit ihnen den neuen Geschäftsraum im Stadtzentrum von Chișinău zu beziehen. Doch kurz nach der Eröffnung kehren auch sie ihr den Rücken. Die eine kann sich die Miete doch nicht leisten, zwei andere verlassen das Land. Sie wird selbst zum Opfer der Abwanderung, gegen die sie sich geschworen hatte zu kämpfen.
„Ich stand plötzlich ganz alleine da“, sagt sie. Es ist die zweite große Enttäuschung in der kurzen Lebenszeit von Mara. Elena wirkt plötzlich noch zerbrechlicher, ihre Arme hängen herunter. Ihre Augen werden feucht, sie wendet sich ab und schaut aus dem Fenster. Doch auf einmal ist sie wieder voll da. Die Reise in die Vergangenheit ist in der Gegenwart angekommen. Sie richtet sich auf, schiebt eine rote Strähne hinters Ohr. Wieder gefasster und mit einem gequälten Lächeln sagt sie: „Es tut mir leid, dass ich so wenig inspirierend bin momentan“. Und: „Das Schwierigste ist, sich immer wieder selbst zu motivieren. Vor allem, wenn es nicht gut läuft“.
Ihre Hände zupfen nervös am Plastiketikett einer Wasserflasche herum. Sie muss an das bevorstehende Gespräch mit den Kolleginnen denken. „Heute Morgen dachte ich noch, vielleicht sollte ich nicht zu voreilige Entscheidungen fällen, aber dann hatte ich schon wieder eine hohe Rechnung im Briefkasten“. Ihre Stimme stockt, sie presst die schmalen Lippen aufeinander, „Es macht mich fertig, etwas voranzutreiben, das nicht funktioniert“.
„Es macht mich fertig, etwas voranzutreiben, das nicht funktioniert“
Elena kennt die Gründe. Sie gesteht sich ein, sich verrannt zu haben. Schwierig seien auch die Umstände. Es gebe so viele Fördertöpfe für soziale Projekte, aber kaum für ein soziales Unternehmen wie Mara. Dann ist da das Problem mit dem fehlenden Markt: „Es gibt gefühlt nur eine Handvoll Menschen aus der ohnehin dünnen Mittelschicht, die von Nachhaltigkeit überhaupt schon mal gehört hat. Von ihnen leistet sich ein Bruchteil einen Pullover für achtzig Euro“.
Am nächsten Tag sitzt sie auf einem Hocker in ihrem Laden. Vor ihr auf einem Holztresen ihre Arbeitsutensilien: Handy und Laptop. Konzentriert sortiert sie Belege, die Stirn in Falten gelegt. Die Sonne leuchtet den Raum aus, nur dort, wo sie sitzt, ist Schatten. Aus Lautsprechern dröhnt moderner Soul. Ihre Kollegin tippt auf ihrem Smartphone rum. Keiner spricht. Im Hintergrund rauscht die Druckmaschine aus dem Gebäude nebenan. Sie druckt die Nachrichten. Jene Nachrichten, in denen die Probleme des Landes gewälzt werden. Jene Probleme, die es den Shop-Inhaberinnen so schwer machen, von dem leben zu können, was sie tun.
Die Kollegin steht auf und geht rüber zu Elena. Vorbei an Kleiderstangen, an denen ihre Zeugnisse hängen: Kleider, Mäntel und Hemden. Aus Leinen, Kaschmir und Baumwolle. Sie legt einen Arm um Elenas Schultern und flüstert ihr etwas ins Ohr. Elenas Gesicht entspannt sich ein wenig, sie lächelt.
Ihre Kolleginnen wollten ihre Entscheidung nicht so richtig akzeptieren, erzählt sie wenig später. Sie versuchten, sie zu überzeugen, dass es schon irgendwie weiter gehe. Tatsächlich hatte sich am Vortag etwas getan. Eine Modeagentur aus Baden-Württemberg ist auf Mara aufmerksam geworden und hat Samples angefordert. Elena deutet mit dem Finger auf vier prall gefüllte cremefarbene Kleidersäckchen aus Leinen, die auf dem Tresen liegen.
Erst jetzt fällt auf, etwas an ihr hat sich verändert. Ihre Wangen sind nicht mehr fahl, sondern leicht rosa, ihre Augen wach, die Körperhaltung aufrecht statt gebeugt. „Vielleicht ergibt sich daraus eine Kooperation, die den Online-Handel wieder mehr in Gang bringt!“, sagt sie. Elena hat seit gestern noch eine Entscheidung gefällt: Sie will weiterkämpfen, zur Not auch ohne Laden. |
ELENA SCUTARUS,
WAS WÜNSCHEN SIE SICH FÜR DIE ZUKUNFT?
HINTER DER RECHERCHE
Ich wollte die Geschichte einer Person erzählen, die der Republik Moldau nicht den Rücken kehrt, sondern sie verändern möchte. Ich stieß auf das Modelabel Mara. Dem Klang nach eine Erfolgsgeschichte. Konstruktiver Journalismus und so. Ich kontaktierte Elena auf allen Kanälen. Keine Antwort. Tagelang. Dann eine Nachricht, sie sei nicht im Land. Um ein Haar verpassen wir uns. Einen Tag vor dem geplanten Treffen schreibt sie, Mara ginge es schlecht, sie sei kurz davor alles hinzuschmeißen. Die Geschichte hing bis zuletzt am seidenen Faden. Und wollte doch erzählt werden. |
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